Ursberg, 7. Juli 2022 – Unterführungen für Fußgänger haben einen zweifelhaften Ruf. Einerseits sind sie praktisch, weil sie kurze und sichere Wege ermöglichen, andererseits gilt: Wer läuft schon gern durch einen langen Tunnel? Für den Fußgängertunnel unter der Prämonstratenserstraße in Ursberg brachte nun ein inklusives Kunstprojekt geniale und kreative Abhilfe. Jeweils acht Schülerinnen und Schüler der Dominikus-Schule (Privates Förderzentrum, Förderschwerpunkt geistige Entwicklung) und des Ringeisen-Gymnasiums der St. Josefskongregation griffen zur Spraydose und wandelten auf den Spuren des mysteriösen Spraykünstlers Banksy. Allerdings taten sie dies nicht im Geheimen, sondern vier Tage lang in aller Öffentlichkeit: Sogar das Fernsehen war da und begleitete die Arbeit der jungen Künstlerinnen und Künstler; „a.tv“ sendete die Reportage am Mittwoch, dem 22. Juni. In der Mediathek des Senders kann der Film aufgerufen und angeschaut werden.
Ein solches Projekt bedarf natürlich umfangreicher Vorbereitungen. Die zwei verantwortlichen Kunstlehrerinnen, Sabine Herget für die Dominikus-Schule und Rosmarie Noack für das Ringeisen-Gymnasium, hatten bereits im Herbst 2021 mit einem zweitägigen inklusiven Kunstprojekt Erfahrungen sammeln können, waren also sehr gut aufgestellt. Doch im vergangenen Jahr war mit Acrylfarbe auf Leinwand gemalt worden und heuer sollte gesprayt werden. Da bot es sich an, mit Künstlern des Vereins „Die Bunten“ aus Augsburg echte Experten hinzuzuziehen, die bei der Gestaltung wie auch bei der Handhabung der Spraydosen wertvolle Tipps gaben. Dass gesprayte Bilder gut „halten“, weiß man auch von solchen Beispielen, wo sie nicht erwünscht sind. Aber damit alles richtig schön aussieht, ist es nicht damit getan, einfach mal zu sprühen. Vorher musste die Fläche grundiert werden, was Schüler der Dominikus-Schule übernahmen.
Erst dann ging es mit vorgefertigten Schablonen und Spraydosen an die handwerkliche Arbeit. Hier war nun gefordert, die im Vorfeld erarbeiteten künstlerischen Entwürfe umzusetzen. Das Bildprogramm umfasst die neu interpretierten Werke der Barmherzigkeit in sieben Motiven, die jeweils in unterschiedlichen Stilrichtungen dargestellt sind. Das kommt natürlich nicht von ungefähr: Die Signets des Dominikus-Ringeisen-Werks und der St. Josefskongregation zeigen den Ringeisenbaum mit den sieben Blättern, die die Werke der Barmherzigkeit versinnbildlichen: „Ich sage dir: Du gehörst dazu.“ – „Ich höre dir zu.“ – „Ich rede gut über dich.“ – „Ich gehe ein Stück mit dir.“ – „Ich teile mit dir.“ – „Ich besuche dich.“ – „Ich bete für dich.“ Die hier verwendete moderne sprachliche Fassung stammt von Joachim Wanke, der bis 2012 Bischof von Erfurt war.
Neben der künstlerischen Beschäftigung bereitete allen Beteiligten auch der Austausch große Freude. Die Stimmung im Tunnel war ausgezeichnet, die Zusammenarbeit der schulartlich gemischten Gruppen klappte wunderbar. Und auch das leibliche Wohl kam nicht zu kurz: Jeweils zum Mittagessen waren alle Beteiligten an einer der beiden Schulen zu Gast. Besonders das Essen in der Mensa der Dominikus-Schule wurde in den höchsten Tönen gelobt: „Schüler kochten das dreigängige Menü, andere bedienten uns, an jedem Tisch war ein frischer Blumenstrauß, eine brennende Kerze und eine nostalgisch gestaltete Speisekarte. Das Essen war wirklich ausgezeichnet!“. So gestärkt konnte es dann in die nächste kreative Runde gehen.
Natürlich kostet eine solche Aktion Geld. Private Spenderinnen und Spender haben sich an der Finanzierung ebenso beteiligt wie die Sparkasse Günzburg-Krumbach, die Bürgerstiftung des Landkreises Günzburg, die Regierung von Schwaben und die Aktion Mensch, wofür die Initiatoren sehr dankbar sind. Doch im Vordergrund bleibt das sinnliche Erlebnis – der Wow-Effekt. Schon während der Arbeitsphase bewunderten zufällig vorbeikommende Passanten das Werk. Vom Endergebnis des Graffiti-Projekts sind alle begeistert. Und es wurde schon die Frage gestellt: „Können wir weitermachen?“ Das ist durchaus denkbar, schließlich hat der Tunnel ja noch eine zweite Wand, die für weitere 20 Meter Kunst den Platz bereithält. Und wer weiß: Vielleicht lässt sich die Decke auch noch gestalten? Doch im Moment sind alle erst einmal glücklich und freuen sich, dass die Unterführung nicht nur zum Abkürzen, sondern auch zum Kunstgenuss benutzt werden kann. Wer also gern mal einen „Tunnelblick“ riskieren möchte: Es lohnt sich – Ursberg hat eine neue Attraktion!